Künstler-Porträt: Unter den Farbschichten

Künstler-Porträt: Unter den Farbschichten

Mit einem Ploppen öffnet der Künstler Marco das erste Flensburger Pilsner, schließlich ist ja Freitag. Da kommt der Kunsthändler, der hinter der neuen Ausstellung im Sofitel steckt, die Treppen herunter. Er war früher Model und trägt seine langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz, auf dem eine goldene Sonnenbrille thront. Unter seiner goldschimmernden Jacke sticht ein rosafarbenes Designerhemd ins Auge. Seine Socken, die sich sichtlich aus den Lederschuhen strecken, haben eine Musterung, die irgendwie an Südamerika erinnert. Als er sich die Bilder im Atelier anschaut sagt er: „Ich krieg Gänsehaut so geil find ich das.“ Empfangen wird er von Marco in Gummi-Sandalen.

Empfangen in einem Kelleratelier mit nicht mehr ganz so weißen Wänden, in einem Hinterhof in Schwabing. Ein Kelleratelier, in dem LED-Röhren plastische Silhouetten beleuchten. Zwischen fotorealistisch gezeichneten Plüschtieren und Bildern von knallbunten Totenköpfen, denen der ein oder andere Zahn fehlt, offenbart sich unweigerlich ein tiefer Blick in die Seele eines verspielten Künstlers: Marco Hasse.

Der junge Mann mit dem Bier in der Hand trägt eine Jeans übersät mit Farbflecken, manche von Ölfarben, andere von Spraydosen. Weil es trotz Frühlingssonne immer noch frisch ist, hat er eine dunkle Fließjacke an. Ein Stück Tesafilm am Ellenbogen möchte sich nicht von der Jacke trennen. Vor seinen neugierigen Augen ruht eine goldene runde Brille, die farblich gut zu dem dunkelblonden Bart passt. In Kombination mit der schwarzen Beanie-Mütze erinnert er an einen Kapitän. Der Kopf eines auf dem Arm tätowierten Fisches lugt unter dem Ärmel hervor und unterstreicht den Eindruck.

Wenn Hasse von seinem Leben erzählt, möchte man ihm sein Alter nicht abnehmen. Geboren in Zürich, aufgewachsen in Kapstadt, studiert in England, verloren in London, versumpft in Berlin. Das war bevor der Künstler auf Weltreise ging und über weiter Stationen schließlich in München landete: Jetzt ist er 31 Jahre alt.
Wenn er von seiner Reise zu den Urvölkern im lateinamerikanischen Dschungel erzählt, funkeln seine Augen und die sonst ruhige Stimme gewinnt an Tempo: “Ich war bei Stämmen, musste komische Sachen trinken, die die Frau vom Häuptling selbst mit einer Wurzel und ihrem eigenen Sekret herstellte.”

Schnell wird klar, dass dieser Teil seiner beinahe Weltumrundung ihn am meisten geprägt hat – an welche farblichen Eindrücke er sich oft erinnert, wenn er zur Spachtel und Ölfarbe greift.

Nach unserem Interview beginnt Hasse auf einer grundierten Leinwand mit einem Portrait.  Dazu gibt es das zweite Flensburger: „Oh, das hat ja nicht mal geploppt.“ Zwar läuft kein Bierschaum vom Pilsner, dafür tropft rosa Spraydosenfarbe.

Dass er während er seiner Arbeit fotografiert wird, bemerkt er kaum. Einmal flucht er, greift zur weißen Ölfarbe, spachtelt und atmet erleichtert auf, bevor er nach einem weiteren Strich wieder in eine kindliche Faszination verfällt: „Wie geil sind die Farben denn!“

Um einen plastischen Effekt auf der Leinwand zu erzeugen, verstreicht Hasse bis zu zwei Töpfe und vier Tuben Ölfarbe auf einem Bild. Die Spachteln, die er für seine Werke benutzt, haben häufig einen festgetrockneten Farbbelag von mehreren Zentimetern. Zwischen drei und 8000 Euro kostet ein Bild. Oft fließt der Gewinn komplett in den Einkauf der Materialien. Viele können die Ungewissheit, die mit dem Künstlerleben einhergeht, nicht verstehen. Manchmal verkauft er mehrere Bilder pro Monat, manchmal ist es nur eins: „Das Leben ist zu kurz um irgendwas zu machen nur, um Geld zu verdienen.“

Welche Farben der Künstler wählt hängt von seiner Stimmung ab: „Wenn ich gut gelaunt bin, dann nehme ich weiß, rosa, pink, lila, gelb. An Tagen, an denen ich nicht gut gelaunt bin, überlege ich, ob ich überhaupt anfange zu malen und wenn ich sage ich male, dann nehme ich eher dunkle Farben.“ Unweigerlich fällt mir ein Bild mit einer giftgrünen Gestalt auf schwarzen Hintergrund auf. Hasse folgt meinen Blick und sagt, dass das Künstlerleben einsam sei. Mindestens fünf Tage die Woche ist er im Atelier, von früh bis abends. Meistens allein.

Hasse drückt eine Farbtupe aus

Oft geht er nach einen langen Tag direkt Nachhause und legt sich schlafen. Hauptberufliche Künstler wie sich selbst kennt er in München keine. Manchmal trifft er nach der Arbeit Freunde um einen freien Kopf zu bekommen. Bei einen dieser Feierabende habe ich ihn kennengelernt. Während einer Vernissage im Sofitel. Zwischen Glamour, Presse und Abendekleidern stach er mit seinen Tattoos, Hip-Hop Look und prolligen Goldschmuck herrlich aus der chicen Masse heraus. Ein paar Tage zuvor war er mir bereits in einer Bar aufgefallen, dort stach er auch heraus: Allerdings eher durch seine ausgelassene Partystimmung. Auf der Vernissage sprach ich ihn darauf an. Die Unterhaltung wurde im angesagten „Enter the Dragon“ mit reichlich Alkohol fortgeführt und an den späten Abschied erinnern wir uns beide nicht mehr. Das Auftreten in der High Society ist in Hasses Metier wichtig. Es kommt vor, dass er sich allein in elegante Restaurants setzt: Auffällt, angesprochen wird und später ein Bild verkauft. „Ich bin ein kontaktfreudiger und emotionaler Mensch“, sagt er von sich und das möchte er auch zeigen: An seinem Arm hat er ein Herz tätowierter.

Herzen finden sich überall im Atelier: Auf Möbelstücken, Wänden, oder versteckt unter den vielen Schichten seiner Bilder. Vor zwei Jahren stieß er auf einen Kuscheltierhasen, den er zu seiner Geburt bekommen hatte. Seitdem malt er dreidimensionale Plüschtiere im Popart-Stil. „Der hier heißt zum Beispiel Belvedere und trinkt gerne Vodka. Das ist Mr. Goodbear und der hier heißt Acid.“ Als er noch in Kapstadt lebte, hatte er viele seiner plüschigen Motive in seinem Kinderzimmer. Vor kurzem hat er sich einen Teddy gekauft und mit knalliger pinker Farbe eingesprüht.

Angst macht ihm, dass irgendwann seine Eltern nicht mehr da sein werden. Gerade seiner Mutter hätte der Künstler viel Sorge bereitet. In seiner Jugend hat er unter einer Diagnose gelitten, die ihn aber auch angetrieben hat. Schon vor seiner Geburt wurde ein Tumor in seinen Hals diagnostiziert. Die letzte Operation liegt inzwischen vier Jahre zurück. Nicht lebensbedrohlich, aber vollständig entfernen konnte man es nicht: „Ich habe einen Lymphangiom im Hals. Ich lebe damit und muss regelmäßig zum Arzt. Deswegen möchte ich den Betrachter meiner Bilder zeigen, dass wir alle etwas an der Waffel haben. Deswegen das Abstrakte und Asynchrone in den Portraits.“ Als den Satz beendet fährt seine Hand unbewusst seinen Hals entlang.

Er möchte sein Leben voll auskosten: Im Moment ist er auf Diät. Sein Sternzeichen ist übrigens Zwilling. Ein Sternzeichen, dem man nachsagt zwei Gesichter zu haben – gleichzeitig kontaktfreudig, gelassen und lebensfroh, aber auch kopflastig und emotional schwunghaft zu sein.

Nachdem der letzte Spachtelstrich am Portrait gezogen ist, gibt es wieder einen Grund anzustoßen: „Cool, jetzt haben wir genau noch zwei Bier übrig.“ Hasse erzählt, dass er von seinen Bildern auch genau zwei in der Wohnung hängen hat:  beides Totenköpfe. Totenköpfe sind für ihn mehr als ein Todessymbol. „Jeder Mensch trägt ein Kunstwerk in sich, eine wunderschöne Skulptur, die die Zeit überdauern wird“, sinniert er.

Dem Künstler ist es wichtig zu wissen, wo seine Werke die Zeit überdauern. Stolz erzählt er von einem Teddybären, der jetzt bei einem Banker über einen Whisky-Schrank in einem noblen Büro hängt und von einem Dinosaurier im Kinderzimmer seines Neffen: „Der muss auch mal Künstler werden!“ Er unterstreicht, dass es ihm wichtig ist zu wissen, dass die Bilder in guten Händen sind. Deswegen besteht er häufig darauf, zu erfahren, wo seine Bilder aufgehängt werden und lässt sich Bilder von seinen Kunden schicken. Schwierig ist das meistens nicht: Die meisten Käufer möchten ihn sowieso persönlich kennenlernen und in Kontakt bleiben.

Hasse wendet sich dem letzten kreativen Akt des sonnigen Freitagnachmittags zu: Einer Champagnerflasche, die der Künstler von einem Freund geschenkt bekommen hat. Zuerst beklebt er die Vorderseite, der fast 300 Euro teuren, goldschimmernden Flasche mit Kreppband. Daraufhin entfernt er langsam und vorsichtig das Klebepapier, um das eingravierte Pik-Zeichen mit einem Skalpell. Um dann den Champagner von Boden bis Flaschenhals mit „Hängetitten“ zu bemalen: „Ich wüsste jetzt nicht, wie ich sonst Brüste malen soll.“

Nach einer Dusche mit einer Spraydose und ein paar Spritzern knalliger Neonfarbe, befreit er vorsichtig das Logo der Armand de Brignac Flasche von dem Papier. Ace of Space wird der Champagner auch genannt, die Marke gehört dem amerikanischen Rapper Jay Z. „Kunst muss auch provozieren, dass mach ich immer noch viel zu wenig“, gesteht er sich ein. Das fertige Ergebnis landet neben seinen pinken Teddy auf Instagram.

Auf die Frage, ob der Begriff Kunst inzwischen zu leichtfertig verwendet wird: „Ich kann nicht sagen, dass es zu viel Schrott gibt, denn das ist Geschmackssache. Aber inzwischen gilt, als Kunst einen Golfball auf ein Papier zu skizzieren, was für mich eine technische Zeichnung ist. Kunst ist nicht, dass das Konto leerer ist für den der es kauft. Kunst ist Emotion. Das kann Farbe auf einer Leinwand sein, ein zerkratztes Bild oder ein Gegenstand der Gefühle, Symbolik oder Ausdrücke in sich trägt.“ Emotionen des Künstlers trägt der inzwischen bunte Champagner in jedem Fall in sich und die wird er auch wieder hervorrufen, wenn der Korkenknall, wie von Hasse angekündigt, irgendwann einen tristen Montag aufheitern wird: Damit die Farben wieder leuchten.

Vielen Dank fürs Lesen. Andere Porträts aber rein fotografisch findet ihr auf meinem Portfolio. Wer sich für meine ersten Erfahrungen in der Selbstständigkeit als Fotograf interessiert, hier lang.