Danke: Zwangsentschleunigung

Danke: Zwangsentschleunigung

Zwangsentschleunigung in der Fotografie

Also was meine ich denn hier mit “Zwangsentschleunigung” und dann auch noch in der Fotografie?
Ich meine diese eine – diese globale, pandemische Handbremse.

Was für ein Durcheinander ist und war dass denn? Also mir ist natürlich erstmal die Decke auf den Kopf gefallen. Bevor diese ganze Pandemiegeschichte angefangen hat, gewann meine “Karriere” nämlich zunehmend an Fahrt. Doch dann kam alles überraschend anders. “Wir können hier nicht bleiben, das ist Fledermausland!” Raoul Duke – fear and loathing in las vegas.

Ich glaube, dass es in der Fotografie völlig unterschätzt wird sich Zeit zu nehmen. Aber was da die ersten Wochen bei mir passiert ist, hatte wenig mit sich Zeit nehmen zu tun: Ich bin schier geplatzt vor Ungeduld. Verärgert, dass meine gerade gewonnene Dynamik jetzt ins Nichts läuft, dass meine Shootings und guten Ideen versickern, dass die Reisepläne ins Wasser gefallen sind.

Das ist übrigens der zweite Post über meine Erfahrungen in den Berufseinstieg in die Fotografie. Wer sich für den ersten interessiert, der kann ihn hier lesen.

Die Jagt nach der Karotte

Seitdem ich mich fotografisch selbstständig gemacht habe, war für mich eines im Zentrum: Erfolg damit haben.

“Mein alter Arbeitgeber und Kollegen werden Augen machen, wie gut ich das hinbekommen habe” oder “Jetzt endlich kommt der Erfolg nach dem Studium” ging mir oft durch den Kopf.

Ich nahm jede Gelegenheit für Bilder, Kontakte oder Aufträge war. Wer meinem Portfolio folgt der weiß, dass das auch so manchen Reinfall mit sich gebracht hat. Der große Erfolg ließ sich Zeit.

Am frustrierendsten allerdings war der kontinuierliche Instagram-Druck, den ich mir gemacht hatte.

Es gibt ein paar Sachen, die mich an Instagram als Medium für Fotografie stören. Da wären: geringe Auflösung, dass Bilder, sobald sie gepostet werden, faktisch in den Tiefen des Feeds verschwinden oder diese nervigen Hashtags. Der Druck sich in Storys ständig selbst zu präsentieren, das kontinuierliche Wischen ohne die Bilder tatsächlich zu betrachten und und und.

Und der größte Witz dabei, ich habe durch Instagram trotz etlicher Stunden Pflege keinen einzigen Auftrag bekommen. Eine von mehreren Erkenntnissen, die ich der zwangsläufigen Entschleunigung schulde.

(Sollte ich übrigens in der Zukunft Instagram wieder aktivieren darf man mich gerne an den letzten Absatz erinnern und sich über mich lustig machen)

Das Ziel ist im Weg

Ich hatte ein sehr denkwürdiges Erlebnis als ich in Kyoto auf Reisen war, einen dieser “das Leben winkt mit dem Zaunpfahl” Momente. Es ist nicht nur so, dass der Weg zum Ziel ein schöner sein sollte. Sondern auch, dass das Ziel dir im Weg ist: Im Weg die Gegenwart zu genießen verdammt nochmal!

Was das mit der Corona Zeit zu tun hat? Darauf komm ich gleich zurück aber zuerst Storytime:

Es war mein erster von vier Tagen in Kyoto und ich machte mich im Internet schlau, welche kulturellen Highlights ich denn besuchen möchte: Dann entdeckte ich ihn.

Bild von Sam Wibowo bei Trover.com
Bild von Sam Wibowo bei Trover.com

Dieser Bambuswald hatte alles; was ich von Japan einfangen wollte – Ein Hauch von Abenteuer, fernöstliche Vegetation, tiefer Jungle – mein Ziel und ein garantiertes Kronjuwel für mein Reise-Portfolio als Fotograf. Ein Leihfahrrad vom Hostel, eine zweistündige Fahrt durch verwinkelte, spannende Wohnviertel und eine Location auf google Maps, tief in den Bergen Kyotos: Meine persönliche Expedition.

Mein Handy führte mich zu einem versteckten grünen Wanderweg, verschiedenste Insekten schwirrten um mich herum und ein klarer Fluss schlängelte sich zwischen Ruinen durch den dichten Wald. Abgesehen von ein paar wenigen einheimischen Wanderern war ich komplett alleine in dieser beeindruckenden Natur. Nach dem Großstadtjungle von Tokio konnte ich mich zum ersten Mal seit Reisebeginn frei von Menschenmaßen bewegen: Ich wusste gar nicht, wie sehr ich das vermisst hatte.

Zwischen Hitzeschlag und Schlangen

Die letzten Kilometer waren höllisch. Nach der grünen Idylle begann die Bergfauna. Bei 32 Grad kämpfte ich mich den steinigen, engen Pfad hinauf. Mit schwerem Gepäck, kaum Empfang und schleppenden Tempo benutzte ich mein durchnässtes T-Shirt als Kopfbedeckung.

Oft überlegte ich mir umzudrehen und aufzugeben und ging ein paar Meter zurück, nur um dann doch wieder weiter Richtung Gipfel zu stapfen. Einmal stieg ich über einen merkwürdigen Ast, der sich beim Zurückblicken als eine Schlange entpuppte (davor warnten also die merkwürdigen Schilder mit den schattierten Augen). Bis ich endlich ankam, am Gipfel und dann, Nichts.

Es war der falsche Berg, die Maps Location stimmte nicht. Alles, was mich auf dem Gipfel erwartete, war eine Blechhütte mit einem Wendekreis. Ich lachte mit einem Hauch von Wahnsinn in mich hinein und machte mich auf den Rückweg. Wieder im Wald angekommen stoppte ich an einer natürlichen Bergwasserquelle für eine Erfrischung, machte einen Umweg durch einen verwunschenen Waldpfad, erkundete eine dunkele, tropfende Höhle. So lebendig hatte ich mich seit dem einsteigen ins Flugzeug nicht mehr gefühlt.

Wieder am Fahrrad angekommen radelte ich zum vermeintlich nächsten “richtigen” Bergpfad. Doch das Ergebnis fiel ähnlich aus, es war wieder der falsche Weg, aber diesmal fand ich einen anderen Bambuswald.

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Völlig erschöpft unten angekommen traf ich einen Japaner, der gerade mit seinem Roller von der Arbeit Nachhause kam. Er erkannte sofort, dass ich seit Stunden auf Wanderung gewesen sein muss. Wir kamen ins Gespräch, mit Händen und Füßen, denn Englisch verstand er nicht.

Er gab mir sein Pausenbrot, einen Apfel und zeigte mir voller Stolz seinen kleinen Garten. Im Nachhinein, war es eine der schönsten und ungezwungensten Begegnungen mit Einheimischen, die ich auf dieser Reise hatte.

Das wahre Abenteuer

Trotzdem ging ich an diesem Abend frustriert ins Bett. Hatte ich doch mein Ziel völlig verfehlt. Dafür machte ich am nächsten Tag alles “richtig“:

Eine langweilige Busfahrt später kam ich endlich an. Von der Station aus folgte ich den Touristenmaßen in eine große Parkanlage. Vorbei an etlichen Souvenirständen, Imbissbuden und Getränkeautomaten fand ich ihn endlich, 10 Gehminuten entfernt.

Der Bambuswald war nicht grün, vielmehr waren die Bilder einfach gut bearbeitet.
Der Bambuswald war nicht leer, vielmehr überlaufen von etlichen Selfiesticks.
Der Bambuswald war nicht das Symbol von Abenteuer in Asien.
Der Bambuswald war eine Lüge, er bringt mir überhaupt nichts für mein Portfolio, er ist stinklangweilig.

Es war der Moment, in dem mir klar wurde, dass der gestrige Tag über den ich mich so geärgert hatte, eines der schönsten Naturerlebnisse gewesen ist, dass ich erleben durfte.

Es war der Moment, in dem mir klar wurde, dass das Ziel im Weg gewesen ist, und zwar in jeglicher Hinsicht.

Das Fotografie Déjà-vu

Als Fotograf traf ich in diesen Wochen der sozialen Isolation eine ähnliche Feststellung. Ich war so fixiert darauf schnell den Erfolg zu haben, dass ich bereit war das, alles was mich überhaupt erst in die Fotografie gebracht hat, über Bord zu werfen: Für das große Ziel, den schnellen Erfolg und die Bestätigung von außen.

Deswegen möchte ich dich, lieber Leser, ermutigen einen Schritt zurückzunehmen. Einmal reflektierten, ob du nicht auch schon in derselben Falle steckst, in die ich so gerne tappe und zu hinterfragen: Genießt du deinen Weg noch?

Danke fürs Lesen und einen wunderschönen Tag dir
Daniel

P.S.: Ich habe erst vor kurzem meine Lieblingsbilder aus Kyoto aussortiert, bei Interesse gerne anschauen.