Münchens neue Obdachlosenpolitik
Vorwort
Für unsere Großeltern war hungern nicht: vergessen zu haben Samstag genug für den Sonntag einzukaufen oder „nichts“ zu essen zu haben, wenn im Kühlschrank nur Sachen sind auf die man im Moment keinen Bock hat.
Pleite sein nicht: dass man im letzten Wochenende des Monats mal nicht ausgehen kann.
Unsere Großeltern konnten was Obdachlose durchmachen verstehen, mehr als wir es je könnten. Die meisten modernen Städtler haben wenig bis gar keinen Bezug zu dieser Randgruppe der Gesellschaft.
Hätte ich Armut, Hunger oder Kälte so kennengelernt, wie es meine Großeltern getan haben, würde ich wahrscheinlich auch Obdachlosen Schinken und Bier unter die Reichenbachbrücke an Heilig Abend bringen. Dafür ist es seit diesem Weihnachtsfest aber sowieso zu spät. Denn statt improvisierter, notdürftig eingerichteter Behausungen findet sich im Dezember 2018 das unter der Brücke:
„Eine Gesellschaft ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied“
Obdachlose sollen davor bewahrt werden sich selbst zu verbrennen oder im Drogensuff zu verenden. Ganz nebenbei werden Parks verschönert, Brücken- und Parkschlafplätze geräumt und danach gesperrt. Sportprogramme und Feste sollen auf Münchens Grünanlagen dafür sorgen, dass Obdachlose und ganz besonders Drogendealer fern bleiben. München setzt sich für seine schwächsten Bewohner ein und scheint sie dabei mit besten Absichten aus dem Stadtbild zu entfernen.
Zugegebenermaßen, dass der alte botanische Garten nahe dem Hauptbahnhof ein Drogenumschlagplatz ist, zweifelt niemand an, besonders nicht die Polizei. Das Programm Dealer weg zu tanzen klingt trotzdem erstmal nach einer Mary Poppins Lösung. Es kommt außerdem sehr gelegen.
Mit den neuen öffentlichen Kulturveranstaltungen im Nussbaumpark beim Sendlinger-Tor oder dem eingeführten Alkoholverbot um den Hauptbahnhof und Umgebung (nur zu Nachtzeiten – außer es spielt Bayern oder es ist Oktoberfest versteht sich), oder eben den neuen Präventionsprogramm der Stadt: Obdachlose vor Selbstschädigung schützen indem man ihre Schlafplätze abreißt.
Die Arbeitsgruppe „Wildes Campieren“ der Stadt München
Der Name der Arbeitsgruppe „Wildes Campieren“ ist für ein wenig unpassend gewählt. Unter den Bemühungen der Stadt soggenannte wilde Camper zu schnappen stelle ich mir die Zielgruppe Backpacker mit Festival-Zelten vor, die es sich mit einem Klappstuhl und Angel am Flaucher gemütlich gemacht haben, kühles Bier schlürfen und abends am Lagerfeuer Gitarre spielen.
Deswegen wäre eine Umänderung des Namens „Wildes Campieren“ in „Arbeitsgruppe für das Entfernen von Obdachlosen-Behausungen aus dem Münchner Stadtbild“ viel treffender: Dann wird zumindest gleich klar, worum es überhaupt geht.
Die Neue Praxis ist: Improvisierte Obdachlosenwohnstätte werden gemeldet, Streetworker werden hingeschickt um die Bewohner auf ihre „Alternativen“ hinzuweisen, und als nächstes informieren Aushänge darüber, dass bald die Kavallerie anrückt.
Interessiert niemanden? Nein, ein paar Bewohner gingen im Dezember gegen das harte Vorgehen der Stadt auf die Straße: „Es ist Teil meines Lebens geworden dafür zu kämpfen, dass ich wie andere auch in einer menschenwürdigen Unterbringung leben kann. Ich möchte genauso leben wie andere auch, in einer ruhigen Atmosphäre und in einer normalen Wohnung, wie es für die meisten Bürger dieser Stadt normal ist. Das ist mein größter Wunsch, und der Wunsch aller, die hier protestieren. Wir sind gezwungen, ständig umzuziehen, müssen tagsüber und nachts immer den Ort wechseln. Ich will, dass das bald vorbei ist. Ich will endlich mein noch junges Leben in einer würdigen Form weiterleben”, beklagte Vasil Damyanov (25) als ihm seine Behausung von der Stadt geräumt wurde und er bei den Protesten unter dem Motto: „Armut bekämpfen, nicht Arme“ teilnahm.
Ein Schlüsselerlebnis prägte die momentane Politik.
Das Feuer unter der Reichenbachbrücke
Ende November kam es unter der Reichenbachbrücke zu einem Feuer. Zwei obdachlose Frauen verloren ihre improvisierten Schlafplatz aus Sperrholz Laken und Matratzen.
Die beiden Bulgarinnen lebten zuvor in einer Mietwohnung. Als sie sich diese nicht mehr leisten konnten, verschlug es sie auf die Straße. Auf einen Platz in einer Obdachlosenunterkunft hatten sie aufgrund ihrer Herkunft keinen Anspruch. Verletzt wurde beim Feuer zwar niemand: Trotzdem schlug der Großbrand große Wellen.
Was ihnen nach dem harten Vorgehen der Stadt gegen „wildes Campieren“ übrig bleibt sind Kälteschutzeinrichtungen.
Das Problem mit dem Kälteschutz
Zahlen des evangelischen Hilfswerkes präsentiert im Januar 2019 gehen von 9000 Obdachlosen in München aus. Das entspricht einer Verdreifachung seit 2011. Sie verteilen sich auf Notunterkünfte, unter Brücken, in Parks oder in Abrisshäusern. Schätzungsweise 1000 von Ihnen auf der Straße. Im Januar, berichtete die SZ, nahmen etwa 300 Menschen den Kälteschutz der Bayernkaserne in Anspruch, wo sie einen Schlafplatz und etwas zu essen bekamen. Unterkommen könnten aber 850 Obdachlosen. Frauen mit Kindern oder Schwangere auch ganztags. Nicht jeder Obdachlose möchte das Angebot nutzen.
Das könnte daran liegen, dass diese morgens ab 8.45 geräumt und erst gegen 17 Uhr wieder geöffnet werden. Damit bleibt jenen, die darauf angewiesen sind, nur das Zeitabsitzen über den Tag. Die Stadt verweist hierbei an Einrichtungen wie die Teestube.
Die Ausübung von Arbeit macht die Einschränkung nicht leichter. Nachts z.B. als Regaleinräumer Geld zu verdienen ist nicht möglich. Außerdem werden Betroffene jeden Tag aufs Neue mit ihren Wertsachen auf die Straße geschickt, denn die Spinte der Kälteeinrichtungen müssen beim Verlassen entleert werden.
Die Arbeit des Evangelischen Hilfswerks und deren Kälteschutzeprogramm ist eine ehrenamtliche und lobenswerte Leistung. Aber gibt das der Stadt die Grundlage um Obdachlosenbehausungen komplett aus dem Stadtbild zu entfernen?
Kein Abbringen vom Kurs: Auch nicht mit Kälte-Iglus
In einen Antrag von Stadtratsmitgliedern der CSU Anfang Dezember, welcher am 7. März 2019 abgelehnt wurde, ging es um die Aufstellung von sogg. Kälteiglus. Der Antrag verwies auf dem Umstand, dass es Obdachlose gibt, welche die Kälteeinrichtungen schlicht nicht annehmen möchten: Gründe hierfür sind:
- Man kann in den Kasernen Wertsachen nicht tagsüber sicher aufbewahren
- Es gibt keine Kochmöglichkeiten, Privatsphäre oder Ruhe
- Die Probleme von Obdachlosen sind durch die Unterbringung in einer Kälteschutzanlage nicht aus der Welt geschafft
Die Lösung sah der Antrag in der Aufstellung von Kälteiglus, wie man sie in Paris und Bordeaux bereits einsetzt.
Die Zwei auf zwei Meter großen Schlafeinrichtungen speichern die Körperwärme und können nicht Feuer fangen. Trotzdem kein Einlenken der Stadt: Stattdessen verwies sie auf einen geplanten Sommer-Übernachtungsschutz und die Möglichkeit Tagestreffs wahrzunehmen wie Teestuben oder Bahnhofsmissionen.
Kälteschutz ab jetzt auch in der Sommerzeit
Welche Alternative sieht die Stadt denn für Obdachlose in München vor? Dasselbe München in dem auch Mittelständler verzweifelt eine Wohnung suchen und die Mieten Rekordniveau erreichen.
Klar es gibt das Argument, dass man doch nur das Beste möchte: Obdachlose haben häufig psychische Schwierigkeiten und Suchtprobleme, wenn man sie weiterhin auf der Straße leben lässt läuft man natürlich Gefahr, dass sie nie die Hilfe bekommen die sie brauchen.
Dennoch, Obdachlose brauchen einen festen Wohnsitz und Adresse, damit sie sich bei Institutionen melden, Post erhalten und wieder von dem sozialen Netz aufgefangen werden können. Ihnen ihre Behausung auf der Straße zu nehmen und sie auf Kälteschützer zu verweisen, die nur nachts ihre Türen öffnen – Bringt einen Obdachlosen erstmal keine Besserung.
Zumindest aber keine negativen Schlagzeilen, dass irgendwo ein Obdachlosenlager unter einer Brücke brennt und als Bonus dazu freie Radwege unter den Brücken der Isar.
Ab dem 1. Mai werden zum ersten mal in München die Kälteeinrichtungen auf die Sommerzeit ausgeweitet. Ob die Stadt nun ihren harten Kurs, mit Verweis auf Einrichtungen, weiterfahren wird, zeigt sich in den kommenden Monaten.
Nachtrag: Die Obdachlosenheime verstopfen
In einem Interview mit einem Mitarbeiter der Teestube des evangelischen Hilfswerk Münchens erfuhr ich von einer ganz anderen Problematik, die die Situation langfristig noch verschärfen wird: Die Obdachlosen kommen nicht mehr aus den Heimen raus: “Das System ist verstopft. Selbst wenn ein Obdachloser in einem Heim mietfähig wird, das heißt eine feste Arbeit findet, soziale Hilfe annimmt, bürokratische Hindernisse überwindet und mögliche Drogenprobleme bezwingt – findet er keine bezahlbare Wohnung und bleibt im Heim stecken. Die, die auf der Straße leben, bekommen keinen Platz in Heimen und die in Heimen bekommen keinen Platz in der Gesellschaft.“
Außerdem verwies die Obdachlosenhilfe St. Bonifaz in der Nähe vom Hauptbahnhof auf eine steigende Anzahl von schwierigen Obdachlosen, die nun in das Viertel strömen, eben solche, die zuvor in der drogengezeichneten Nähe des Hauptbahnhofes unterkamen.
Wie immer bin ich gespannt auf eure Gedanken und Feedback zu dem Thema. Fühlt euch eingeladen meinen Standpunkt zu diskutieren oder korrigieren falls ihr der Meinung seid ich habe einen Fehler gemacht oder etwas vergessen. Danke fürs Lesen und einen wunderschönen Tag.
Grüße
Peter Pierre